Bünder Arzt im Kongo: „Die Menschen werden von Mal zu Mal mehr“ (2024)

Bünde. Das Beste kommt zum Schluss – heißt es jedenfalls immer wieder. Ob es wirklich „das Beste“ war, was Theophylaktos Emmanouilidis mit seinem Team vom Hammer Forum auf der Rückreise zum Flughafen erlebte, sei mal dahingestellt. Zumindest war es der abenteuerlichste Teil einer an Abenteuern ohnehin nicht armen Reise. Der Hauptdarsteller: Ein risikofreudiger Busfahrer, der für 10 Dollar Extramotivation nicht zögerte, sich und seine Fahrgäste in eine sehr spezielle Situation zu bringen.

Aber der Reihe nach: Der Einsatz im Kongo - das Hammer Forum unterhält im Krankenhaus der Provinzstadt Kikwit eine selbstaufgebaute Kinderambulanz - ging diesmal vom 14. bis zum 28. Mai. „Diesmal waren wir insgesamt zehn Leute, von denen zwei aber ein paar Tage eher abreisen mussten“, erzählt Dr. Emma.

Ganze 422 Kinder hätten er und seine Kollegen diesmal untersucht. „Die Menschen, die dort auf uns warten, werden von Mal zu Mal mehr“, so der einstige Chefarzt des Bünder Krankenhauses. „Ich habe jetzt schon die OP-Listen für die kommenden drei Einsätze komplett vorliegen – aber auch dann werden wieder Hunderte von neuen Patienten auf uns warten.“ Diesmal schafften er und seine Kollegen insgesamt 119 Operationen.

Nach den Zuständen im Krankenhaus von Kikwit befragt, winkt Emmanouilidis mittlerweile nur noch ab. „Alles geht kaputt, nichts wird repariert. Von insgesamt 135 Angestellten ist meistens nur ein Dutzend anwesend. Gearbeitet wird kaum, die Leute bekommen ja auch ihr Geld nicht. Und die Menschen vor Ort warten eigentlich nur darauf, dass das Hammer Forum kommt und etwas macht“, fasst der Bünder ein sehr komplexes Thema in wenigen Worten zusammen.

Fälle, die in Erinnerung bleiben

Eindrückliche Fälle habe es auch diesmal zur Genüge gegeben. „Wir konnten ein Mädchen retten, dessen Arm nach einem Schlangenbiss komplett abgestorben war und nur noch am Bindegewebe hing - ein Wunder, dass sie das überhaupt überlebt hatte“, erzählt Dr. Emma. Ein anderes Mädchen habe sich bei einer Vergewaltigung zur Wehr gesetzt und sei daraufhin mit einem Messerstich in die Lunge verletzt worden. Auch diesem Mädchen konnte geholfen werden. Ein Lichtblick sei die Mutter eines Kindes gewesen, das Dr. Emma vor drei Jahren operiert hatte: „Sie kam mit einem halben Sack voller Bananen und Hülsenfrüchte, um sich erkenntlich zu zeigen“, erzählt Dr. Emma. Das seien die Momente, die ihm die nötige Energie zum Weitermachen gäben. Ansonsten tröstet er sich mit seinem alten Motto: „Die Kinder können nichts dafür.“

Auf der langen Rückfahrt zum Flughafen von Kinshasa habe man diesmal so viele „Sicherheitskontrollen“ über sich ergehen lassen müssen, dass man statt der üblichen acht bis neun Stunden etwa zwölf Stunden benötigt habe. „Offiziell sind das Sicherheitskontrollen, in Wahrheit werden wir nur angehalten, weil alle noch mal die Hand aufhalten wollen“, erklärt Dr. Emma das übliche Kongo-Prozedere. 20 Kilometer vorm Flughafen - die Straßen alle verstopft - sei eigentlich klar gewesen, dass man es bis zum Flughafen nicht mehr rechtzeitig schaffen würde.

Doch dann kam der große Auftritt des Busfahrers: „Ich habe nicht wirklich darüber nachgedacht. Ich habe ihm nur gesagt, dass er von mir zehn Dollar bekommt, wenn wir um kurz vor sieben noch am Flughafen sind“, erzählt Dr. Emma. Der Fahrer habe zunächst keine Reaktion auf dieses Angebot erkennen lassen, sei dann aber sehr unvermittelt über einen Grünstreifen in den Gegenverkehr auf der anderen Seite gefahren. „Die Straße, eine Art Stadtautobahn, war ebenfalls pickepackevoll, aber er hat es irgendwie geschafft, sich an der Seite entlang zu schlängeln - in einem ziemlich hohen Tempo“, erzählt Dr. Emma.

Am Ende geht für Dr. Emma alles gut

Während er und sein Team Blut und Wasser geschwitzt hätten, seien die Einheimischen bei dieser Harakiri-Aktion sehr gelassen geblieben. „Und wir haben es tatsächlich noch geschafft“, sagt der 85-Jährige, der dem Fahrer das versprochene Geld in die Hand drückte, ins Terminal vorrannte und den dortigen Flughafenmitarbeiter bekniete, den Schalter noch ein paar Minuten länger geöffnet zu lassen. Lange Rede, kurzer Sinn: Der Tross vom Hammer Forum bestieg auf den allerletzten Drücker die Maschine nach Brüssel.

Damit, so erzählt Dr. Emma, erging es ihnen besser als besagten Kollegen, die drei Tage zuvor hatten abreisen wollen: Die bekamen auf dem Rückweg zum Flughafen ebenfalls Probleme, mussten in Taxis und auf Mopeds umsteigen, wurden dann von Langfingern auch noch unauffällig ihres Geldes, ihrer Papiere und ihrer Handys entledigt und konnten ihre Rückreise erst einen Tag später antreten - nicht ohne vorher den deutschen Botschafter in Kinshasa eingeschaltet zu haben. Schlimmer geht’s nimmer. Sollte man jedenfalls meinen. Bis zum nächsten Mal.

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Author: Melvina Ondricka

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