Serbien und Kosovo: Warum die Lage eskaliert (2024)

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Rückschlag auch für Brüssel:Serbien vs. Kosovo: Warum die Lage eskaliert

Serbien und Kosovo: Warum die Lage eskaliert (1)

von Wolf-Christian Ulrich

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Bei den Zusammenstößen im Kosovo haben militante Serben 30 KFOR-Soldaten verletzt. Ein Rückschlag auch für die EU, die an besserer Zusammenarbeit zwischen den Staaten arbeitet.

Serbien und Kosovo: Warum die Lage eskaliert (2)

Präsident Vucic steht im eigenen Land unter Druck. Nach den beiden Amokläufen gibt es immer wieder Massenproteste gegen die Regierung und gegen Gewalt.30.05.2023 | 2:12 min

Das Verhältnis zwischen dem Kosovo und Serbien hat über Pfingsten großen Schaden genommen: dass überhaupt die KFOR-Schutztruppe eingreifen musste, um kosovarische Amtsträger zu schützen, dass serbische Militante 30 Nato-Soldaten teils schwer verletzten, dass auf der anderen Seite 52 Serben verletzt wurden – das ist eine neue Eskalationsstufe in einem Konflikt, den die EU und die USA mit aller Kraft versuchen zu beruhigen.

Stephanie Fenkart vom International Institute for Peace in Wien sagt:

Es ist eine der schlimmsten Eskalationen seit dem Krieg.

Die KFOR-Schutztruppe ist eine Militärgruppe unter Leitung der Nato. Die KFOR wurde 1999 von den UN damit beauftragt, für die Sicherheit im Kosovo zu sorgen. Sie hat heute noch etwa 3.800 Soldaten dort stationiert, unter ihnen knapp 70 Deutsche.

Wieso der Konflikt?

Im Kern geht es darum, dass Serbien die Unabhängigkeit vom Kosovo bis heute nicht anerkennt. Ein Streitpunkt ist dabei der Status der mehrheitlich von Serben bewohnten Gemeinden im Kosovo. Die Serben dort lehnen kosovarische Autoritäten größtenteils ab. Seit Jahren sollen die Gemeinden autonomen Status bekommen – doch ist das nicht vollständig umgesetzt.

DasKosovo, das heute fast ausschließlich von Albanern bewohnt wird, gehörte früher zu Serbien. Nach einem bewaffneten Aufstand der
Kosovo-Albaner und massiven Menschenrechtsverletzungen durch die serbischen Sicherheitskräfte hatte die Nato im Frühjahr 1999 mit Bombardierungen im damaligen Rest-Jugoslawien (Serbien und Montenegro) reagiert.

Von 1999 bis 2008 verwaltete die UN-Administration Unmik das Gebiet. 2008 erklärte sich das Land für unabhängig. Serbien erkennt diesen Schritt bis heute nicht an und reklamiert das Territorium für sich.

Quelle: dpa

Die kosovarische Regierung unter Ministerpräsident Albin Kurti nämlich fürchtet eine zweite "Republika Srbska" (also wie in Bosnien und Herzegowina einen mehrheitlich von Serben bewohnten Landesteil, dessen Führung nach Abspaltung strebt). Expertin Stephanie Fenkart rät zwar, die Regierung Kurti solle den Prozess aktiv in die Hand nehmen, statt an der Seitenlinie zu stehen. Doch das will Kurti derzeit nicht.

Im April fanden in vier mehrheitlich von Serben bewohnten Orten Kommunalwahlen statt. Die Serben boykottierten die Wahlen jedoch weitgehend, so dass die albanische Minderheit bei einer Wahlbeteiligung von 3,5 Prozent die Wahl gewann.

Die Serben wollen die neuen Bürgermeister nun nicht im Amt sehen. Die kosovarische Sonderpolizei eskortierte sie trotzdem ins Amt – als die KFOR-Soldaten dann die Gebäude sichern sollten, wurden sie zur Zielscheibe von militanten Serben, die mit Steinen, Flaschen und Brandsätzen angriffen und 30 Soldaten verletzten.

Warum eskaliert der Konflikt ausgerechnet jetzt?

Wichtig ist hier die Rolle von Serbiens Präsident Aleksandar Vučić. Er hat großen Einfluss auf die Serben im Kosovo. In Serbien jedoch steht er politisch unter Druck: Nach zwei Amokläufen mit insgesamt 18 Toten demonstrieren derzeit Zehntausende gegen den autoritär regierenden Präsidenten und die "Kultur der Gewalt", die seine Regierung und ihm nahestehende TV-Sender protegiert.

Der Konflikt kommt ihm sicher entgegen, es lenkt ab von den massiven Protesten.

Vučić weiß aber auch: Wenn es um den Kosovo geht, stehen die meisten Serben zusammen.

Was tut die EU?

Die EU und die USA vermitteln im Konflikt mit zuletzt zunehmendem Druck – aber übersichtlichem Erfolg. Vertreter von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und der USA kritisieren, dass die Regierung Kurti darauf besteht, die Bürgermeister in die Ämter zu lassen – obwohl die EU doch vorher den Segen zur Kommunal-Wahl gegeben hatte.

Der EU-Außenbeauftrage Josep Borrell verurteilte die Gewalt, das Auswärtige Amt in Berlin forderte "die sofortige Einstellung jeglicher Gewalt und aller Handlungen, die zu weiteren Spannungen führen".

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Kommt es noch schlimmer?

Hoffentlich nicht: Es hängt davon ab, wie Vučić seinen Einfluss unter den Serben im Kosovo geltend macht – und ob Kurti weiterhin bei seiner konsequenten Linie bleibt. Kurti wurde im Kosovokrieg von der serbischen Polizei verhaftet und saß im Gefängnis. Vučić war im Kosovokrieg Informationsminister von Präsident Slobodan Milosević, dem Kriegsverbrechen vorgeworfen wurden.

Beide sollen nun am Verhandlungstisch Ergebnisse erzielen, aber können sich nicht mal in die Augen sehen. Dass Serben nun Nato-Soldaten im Kosovo angreifen, die den Frieden sichern sollen, macht die Lage explosiv.

Wolf-Christian Ulrich ist Korrespondent im ZDF-Studio Wien.

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